Ohne Zubrot kann kaum einer leben
29. Januar 2014 Stuttgarter Zeitung
Wer als Musiker sein Geld verdienen möchte, muss bereit sein, auch auf Firmenfesten zu spielen.
Von Martina Zick
Wer den Veranstaltungsteil dieser Zeitung aufschlägt, findet täglich ein ebenso umfangreiches wie vielseitiges kulturelles Angebot. "Die Musikdichte ist nirgends so groß wie in Stuttgart und Umgebung", sagt der Jazzmusiker Martin Keller, zugleich Vorsitzender der Interessengemeinschaft (IG) Jazz. Doch können Musiker jenseits des Klassikbetriebs von ihrer Kunst auch leben? Zahlen gibt es dazu nicht, lediglich die Antwort: "Ja, aber." Denn wer sich nur mit der Kunst durchbringen und allein auf Auftritte konzentrieren möchte, der hat schlechte Karten. Das wird im Gespräch mit verschiedenen Beteiligten deutlich. Martin Keller: "Vom Jazz leben kann natürlich keiner." Doch er sagt auch: "Es ist kein Zuckerschlecken, aber es kommen alle durch." Dabei gebe es letztlich zwei Modelle, um neben den Konzerten eine einigermaßen sichere Einnahmequelle zu haben: "Man verdient mit kommerzieller Musik oder sucht sich eine Lehrtätigkeit." "Das Einkommen ist immer eine Mischkalkulation", sagt auch Mini Schulz, Professor für Bass (Jazz und Pop) an der Stuttgarter Musikhochschule. Das gelte für den ganzen Bereich von Jazz bis Pop. Wobei sich für Peter James, Leiter des Stuttgarter Popbüros, im Bereich der Werbung die Frage stellt, wo die Grenze zu ziehen ist. Wer ist Musiker, wer reiner Dienstleister? Lässt sich das überhaupt trennen? In der populären Musik gebe es jedenfalls sehr viel Liebhaberei. Diese Definition gilt für James dort, "wo die Einnahmen nicht in den schwarzen Zahlen" sind. Und schwarze Zahlen schrieben nur wenige. Ein wenig könne man dem Erfolg nachhelfen, indem man sich vom Mainstream absetze. Zudem sei auch in seiner Sparte die Kombination, in der eigenen Band zu spielen und zu unterrichten, häufig. Dass sich Musiker nicht zu schade sein dürfen für die Dienstleistung, steht für Branko Arnsek außer Frage. Private Feiern, Firmenfeste und vergleichbare Aufträge gehören für ihn selbstverständlich dazu.
Arnsek weiß, wie das Geschäft läuft: Der gebürtige Slowene, der in Sindelfingen aufgewachsen ist, in Bern an der Swiss Jazz School studiert hat und seit Jahrzehnten in Stuttgart lebt, ist in der hiesigen Musikszene fest etabliert. Mit seinen Formationen Tokame und den Guttenberger Brothers hat er zwei Nischen besetzt: kubanische Musik, aber europäisch erweitert, und Gypsy Swing. Zudem unterrichtet der Bassist an der Musikschule, hat seine Reihe "Branko & Friends" im Arigato und nutzt möglichst viele Auftrittsmöglichkeiten auch abseits seiner Bandaktivitäten.
Das wiederum setzt voraus, dass man gut vernetzt ist. Schon allein, um Kontakte zu knüpfen, sei ein Studium sinnvoll, macht Arnsek deutlich. Ein Musiker müsse früh damit anfangen und dürfe diese Kontakte möglichst nie aus den Augen verlieren. So manches Mal habe er nach vielen Jahren wieder alte Bekannte getroffen, sei durch sie zu Auftritten gekommen oder habe ihnen welche verschafft. "Musiker engagieren einander", erklärt Arnsek. Aber: "Man muss schon ein Kämpfer sein", um das vielschichtige System aus Kollegen, Veranstaltern, Auftraggebern und natürlich dem, was man selbst machen möchte, am Laufen zu halten. Dass er zudem sein eigener Manager und Produzent ist, gehört für Arnsek ebenfalls zum Alltag. Beispielsweise sei es unerlässlich für einen Musiker, CDs einzuspielen, obwohl das längst ein Minusgeschäft sei. Aber ohne gehe es eben auch nicht. "Das ist wie Plakatemachen", sagt Arnsek. Wer in einem der vielen Felder nachlasse - im eigenen Anspruch, beim
Üben, in der Präsenz - sei schnell weg vom Fenster. Dies gelte umso mehr, als gerade im Bereich der Dienstleistungen die Zahl der Bands stark zugenommen habe. Das bedeute, dass es schwieriger geworden sei, an Aufträge zu kommen. Zudem seien die Gagen "lang nicht mehr so üppig wie früher". In Stuttgart bewegten sich die Gagen, die in Jazzclubs bezahlt werden, zwischen
100 und 200 Euro, sagt Martin Keller. Mindestens 100 Euro sind jedoch gesichert, dank des Landesjazzverbands: Der Verband subventioniere die Konzerte in den Clubs. Das sei "ein sehr gutes Modell". Hinzu komme, dass es in und um Stuttgart eine
beträchtliche Anzahl an Clubs gebe. "Da sind wir super aufgestellt und müssen richtig stolz drauf sein", findet Keller und nennt als wichtige Orte in Stuttgart das Bix, die Kiste und das Forum-Theater. Mini Schulz, der im Übrigen davon überzeugt ist, dass man in Stuttgart "sehr gut" von der Musik leben kann, ist ebenfalls voll des Lobes: "Stuttgart unterstützt die Jazzszene in ganz Deutschland proportional am besten. Es ist ein tolles Engagement, das die Stadt da zeigt.
BRANKO ARNSEK
MUSIKER - KOMPONIST - PRODUZENT - DOZENT