DAS SALZ DER ERDE
Joe Bauer, Stuttgarter Nachrichten, Flaneursalon
 

Es ist einer dieser Morgen, an dem die verregnete Novembernacht kein Ende nehmen will. Ich lege Musik auf, um wenigstens das Hirn zu wecken, und dann erzählt mir dieser Song, wie es klingt und swingt, wenn ziemlich wenig ein Fest fürs Leben ist: „Frauen“ reimt sich auf „abzuhauen“, „Bier“ auf „mir“, die „Coole“ auf „Schule“.
    
Dieses Lied, es heißt „Meine beste Freundin“, hat der Stuttgarter Bassist Branko Arnsek für seine Band Guttenberger Brothers geschrieben und es mit anderen deutschen und amerikanischen Stücken auf einer neuen CD herausgebracht. Am Mittwoch, 9. November, stellt das Sextett sein Album im Theaterhaus vor; der Bassist und Weltenbummler Branko Arnsek, 1959 in Slowenien geboren, feiert an diesem Abend mit den Guttenberger Brothers sein 40-Jahr-Jubiläum als Bühnenkünstler.
    
Branko habe ich neulich vormittags im Wirtshaus getroffen. Lass uns eine Stunde quatschen, dachte ich, das wird reichen, um das Nötigste zu erfahren. Es sind dann aber, ohne dass ich es gemerkt habe, drei Stunden geworden. Und noch lange war nicht alles gesagt.
    
Branko Arnsek, zu Hause in Stuttgart, ist der vermutlich sesshafteste Ausreißer, den ich kenne. Er erzählt gute Geschichten, und ich wäre gern dabei gewesen, damals in der Schiwago-Bar, als Gorbatschow schon Glasnost und Perestroika ausgerufen hatte. Branko spielt mit seiner Band White Diamonds in Moskau, logiert im feinsten Hotel in der Nähe des Kremls, bevor es im Nachtzug weitergeht zum nächsten Auftritt bei einem Festival in St. Petersburg. Die Bandmitglieder aus Deutschland, darunter der russische Gitarrist Vladimir Bolschakoff, besitzen billige, nur für Russen gültige Fahrkarten, und den anderen im Zug kommt es mehr als komisch vor, wenn diese Typen alle Fragen immer nur mit „da“ und „njet“ beantworten. Was aber gibt es in revolutionären Zeiten schon zu sagen, außer Ja und Nein. Wenn ich Branko richtig verstanden habe, spielte bei dieser Russland-Tour das Schicksal eine gewisse Rolle: Ein Gangster hatte kurz vor der Show den Sponsor des St. Petersburger Festivals erschossen. Dennoch tritt Branko noch öfter in Russland auf.
    
Er ist überhaupt viel rumgekommen in der bösen Welt. In sein erstes großes Abenteuer geriet er schon als Baby. Seine Mutter durchschwamm mit ihm huckepack irgendein Gewässer, um von Slowenien nach Österreich abzuhauen. Slowenien gehörte noch zu Jugoslawien, und der Vater war – wie damals Vorschrift – ohne Familie als Gastarbeiter der ersten Generation nach Deutschland gegangen.
    
Branko wächst in Sindelfingen auf. Als er im Gymnasium den späteren Hollywood-Regisseur Roland Emmerich kennenlernt, liegt schon reichlich Musik in der Luft. Vorbelastet ist er ohnehin. Sein Vater Franz, gelernter Glaser, singt und spielt Gitarre und Bass mit seinem Trio in einem Keller­lokal in der Königstraße. Der junge Branko hängt am Radio, zieht sich sämtliche Jazz- und Rocksendungen rein, nimmt die Musik mit dem Tonband seines Vaters auf. Dann die siebziger Jahre: Deep Purple und Frank Zappa hauen ihn um, auch Miles Davis und Chick Corea. Eines Tages hört er in einer Südwestfunk-Sendung des legendären Journalisten und Produzenten Joachim-Ernst Berendt die Musik des amerikanischen Salsa-Pioniers Eddie Palmieri. Der New Yorker Orchesterchef spielt den afrokubanischen Sound, wie ihn in Europa noch kaum einer kennt.
    
Ein paarmal während unseres Wirtshaustreffens klingelt Brankos Mobiltelefon, und jedes Mal redet er in perfektem Spanisch drauflos: Salsa, das Salz der Erde, hat es ihm angetan. Anfang der Achtziger ist er in Deutschland einer der Weg­bereiter dieser Musik und einer der Ersten, der hierzulande ein Salsa-Orchester leitet. Branko entdeckt schon früh eine dynamische Latino-Szene in Stuttgart: Menschen aller Herren Länder treffen sich beim Salsa am Wilhelmsplatz in einem Kirchensaal, den es heute nicht mehr gibt. Stattliche Limousinen fahren vor, gut gekleidete Herren und Damen steigen aus, da läuft was – auch in Brankos internationalem Liebesleben, das noch einige Lieder hergeben dürfte.
    
Seit jeher neugierig, hat er als Mensch und Musiker keinerlei Berührungsängste. Als es ihm zu Hause zu eng wird, flüchtet er als 17-Jähriger in eine Landkommune und absolviert eine Ausbildung als Glas- und Porzellanmaler. Er wird von einem Auto angefahren und schwer verletzt. Vier Tage liegt er im Koma, ist aber drei Monate später wieder gesund. Irgendwann schnappt er seinen Rucksack und trampt nach Jugoslawien, um seine Wurzeln zu suchen.
   
1987 beginnt er sein Studium an der renommierten Swiss Jazz School in Bern. Zuvor hat er am Band bei Daimler Geld verdient. Neben seiner Vorliebe für Salsa entdeckt er bald den Sound, den man noch „Zigeunermusik“ nennt, den Swing der Sinti – heute als Gypsy Music ein Begriff. Der aus Slowenien geflüchtete Junge wird Weltmusiker und Multimanager. Er leitet Bands, gründet eine Plattenfirma, gibt Unterricht, baut in den Neunzigern den Verein Musicians Network mit auf: Jazz-Enthusiasten wie der Koch und Musiker Vincent Klink und der Musikhochschulprofessor Bernd Konrad organisieren in Stuttgart außergewöhnliche Konzerte, erst bei Piano-Fischer, später im Institut français. Brankos Höhepunkt als Netzwerker ist eine Show mit der amerikanischen Jazz-Größe Archie Shepp. Reich wird er mit diesen Dingen nicht, kommt aber bis heute ganz gut über die Runden.
   
Kommenden Mittwoch steigt Branko Arnseks großes Jubiläumskonzert mit den Guttenberger Brothers, benannt nach den Musikern Knebo (Gesang, Gitarre) und Mano Guttenberger (Gitarre). Die Songs erinnern an Frank Sinatra – und an den in diesem Jahr mit 45 Jahren verstorbenen deutschen Jazz- und Popsänger Roger Cicero. Es wird sicher kein trauriger Abend , eher „Hart & Herzlich“ – so heißt eines von Brankos Stücken auf der neuen CD.

BRANKO ARNSEK 

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